header

3
9

Fristenregelung

10.08.2015 von Bernd Buerschaper

Vor einundvierzig Jahren beschloß der Bundestag einen Schwangerschaftsabbuchs bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei zu stellen. Aufgrund der unterschiedlichen Gesetzesgebung in beiden deutschen Staaten wurde nach der Wiedervereinigung vor 25 Jahren eine weitere Reform des § 218 notwendig. Wir wollen noch einmal zurückschauen, auf die Ereignisse von damals. Am Beispiel einer jungen Frau, die sich für den Abbruch ihrer Schwangerschaft entschieden hat, und die mit ihren persönlichen Beweggründen für ganz viele Frauen steht, wollen wir den Versuch einer Bilanzierung unternehmen.

Unbeschreiblich weiblich. Über die Selbstbestimmung der modernen Frau.

> Die Chronik des §218.
> Der Wortlaut des §218 in der aktuellen Fassung.
> Anhören: Nina Hagen: "Unbeschreiblich weiblich".
> Lesen: Text von Nina Hagen "Unbeschreiblich weiblich".


X

Unbeschreiblich weiblich!
25 Jahre Reform der Fristenregelung

E-Mail-Adresse des Empfangers
(Mehrere Adressen durch Kommas trennen)

Ihre E-Mail-Addrese

Ihr Name(Optional)

Ihre Nachricht(Optional)

Sicherheitscode

CAPTCHA

Bitte geben sie hier den oben gezeigten Sicherheitscode ein.

Close

 

Kurz nachdem Nina Hagen 1977 die DDR verlassen hatte, veröffentlichte sie 1978 ihr erstes Musikalbum im Westen. Es gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Pop-Alben der Nachkriegszeit. Eines der Lieder darauf heißt "Unbeschreiblich weiblich". Der Text stammt von Nina Hagen selbst. Er handelt vom Kinder kriegen und dem Selbstverständnis einer Frau, selbst über ihren Körper zu entscheiden. In dem Song bekennt Nina Hagen, selbst abgetrieben zu haben. Und damit wurde Nina Hagen, ob gewollt oder ungewollt, Teil einer Bewegung in der Bundesrepublik, deren Ziel es war, die bis dahin festgeschriebene gesellschaftliche Stellung der Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft grundlegend zu verändern. Ein Thema, das dafür besonders geeignet schien, war die Selbstbestimmung der Frau auf ihren Körper. Und wo ließ sich das besser festmachen als bei der Entscheidung zum Austragen einer Schwangerschaft? Weil der bis dahin geltende gesellschaftliche Konsens über das öffentliche Frauenbild so verlogen war, standen die Aussichten gut, die Angelegenheit in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Die Zeit schien reif!

"Mein Körper gehört mir - Ich habe abgetrieben"

Seit 1871 stellte der § 218 des Strafgesetzbuches Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe, mit einem Strafmaß von mindestens sechs Monaten Gefängnis sowohl für die Frau als auch für den durchführenden Arzt. Als einzige Ausnahme von diesem Verbot ließ die Justiz seit 1927 Abtreibungen aus medizinischen Gründen zu. Bemühungen von SPD und KPD, den Paragrafen in der Zeit der Weimarer Republik zu reformieren oder gar zu streichen, waren stets gescheitert. In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren vollzogen sich zunächst in den USA und danach auch in der Bundesrepublik grundlegende Wandlungen in der Gesellschaft. Die Jugend rebellierte gegen alt hergebrachte Denkmuster und Handlungsschemen. Als Stichworte seien hier genannt: Woodstock, freie Liebe, Studentenbewegungen, Psychoanalyse, Reformpädagogik, Selbstbestimmung der Frau, Vegetarier- und Freiluftbewegung, Anti-Atomkraftbewegung, freier Meinungsaustausch insbesondere auch über die Medien ... Die Gesellschaft war spürbar im Wandel.

"Ich habe abgetrieben!" und "Mein Körper gehört mir", das waren Schlagzeilen, die in den siebziger Jahre zum gesellschaftlichen Streitthema in der Bundesrepublik wurden. Noch vor kurzem hatte eine linksliberale französische Zeitung weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Auf dem Titelblatt veröffentlichte sie Frauenporträts prominenter Frauen mit dem Bekenntnis, abgetrieben zu haben. Als sich für eine deutsche Illustrierte (Stern) die Gelegenheit eröffnete, auf den Zug aufzuspringen, zögerte man nicht. In Zusammenarbeit mit der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer und dem sozialistischen Frauenbund veröffentlichte die Illustrierte 1971 die Unterschrift von 374 Frauen mit dem Bekenntnis: "Ich habe abgetrieben und fordere das Recht für jede Frau dazu!“. Dabei war es offensichtlich nicht so einfach über 300 Frauen, noch dazu möglichst Prominente, mit so einem Bekenntnis zu gewinnen, denn etliche der Unterzeichnerinnen hatten zuvor nicht abgetrieben; sie behaupteten es nur. Der Aufmacher auf dem Titelblatt war geschmückt mit zahlreichen Fotos teils prominenter Frauen, die sich bekannten. In der Bundesrepublik brachen alle Dämme; hier Entrüstung und Empörung, dort Verständnis und Beifall.

Das bis dahin gesellschaftlich zementierte Rollenverständnis einer Ehe im allgemeinen und die Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft im besonderen basierte auf wenigen Grundsätzen.

- Zwischenmenschliche Beziehungen erfolgen zwischen Mann und Frau.
- Die Familie ist der Keimhort der Gesellschaft.
- Der Mann ist das Oberhaupt der Familie.
- Die Frau ordnet sich dem Mann unter.
- Die Frau gehört hinter den Herd.

Man kann weit zurück gehen, um den Einfluß vor allem linker Theorien nachzuweisen, diesem herrschenden Rollen- und Klischeeverständnis eigene Ideen entgegen zu setzen. In dem Buch „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ veröffentlichte Friedrich Engels, ein enger Mitstreiter des kommunistischen Ideenbegründers und Theoretikers Karl Marx, (s)ein eigenes politisches Ideenpapier, das sich weite Teile der sozialistischen und kommunistischen Linken und sogar bis hinein in das Bürgertum zu eigen machten. Auch die 68-Bewegung in der Bundesrepublik, bediente sich hier ausgiebig. Diese Schrift, die von dialektischem Materialismus und Darwinismus bestimmt ist und die das Jahrtausend alte religiöse Vermächtnis des jüdisch-christlichen Schöpfergottes in Bezug auf Ehe (zwischen Mann und Frau), Treue und Fürsorge nicht einmal mit einem einzigen Wort erwähnt, bildet die theoretische Grundlage bis in die heutige Zeit hinein. In der Schrift stellt Engels eine Beziehung zwischen der Freiheit der Produktionsmittel und der Freiheit zwischenmenschlicher Beziehungen her. Da, wo die Produktionsmittel nicht frei sind, gibt es auch keine Freiheit zwischen Menschen und Geschlechtern. Dabei wurden Engel's Ideen nicht etwa nur in den engen Hinterzimmern linker Zirkel diskutiert; sie waren z.B. auch Lehrstoff an den Bildungseinrichtungen in der DDR. Die in Teilen vorhandene Verlogenheit der etablierten bürgerlichen Gesellschaft in Fragen Ehe, Familie, Sex und Verhütung auf der einen Seite und die sexuellen Verlockungen (Verführungen) die aus diesen Schriften "heraus gelesen wurden" und die später dann tatsächlich auch gelebt wurden, öffneten den linken Ideen Tür und Tor. Das die "neue Freiheit" der 68-er Generation vielfach eine skandalöse Unfreiheit bis hin zur sexuellen Ausbeutung von Frauen und Minderjährigen nach sich zog, wird erst heute, 45 Jahre später, mehr oder weniger widerwillig enttabuisiert.

Reform des §218 in der BRD

Unter dem Motto "Mehr Demokratie wagen" nahm die sozialliberale Koalition unter Willi Brandt 1972 eine breite Strafrechtsreform in Angriff. Diese beinhaltete auch Änderungen des § 218. Das löste eine breite und sehr kontrovers geführte Debatte in der Gesellschaft, im Parteienspektrum und in den kirchlichen Kreisen der Bundesrepublik aus. Zwar war es ein anerkannter Tatbestand, dass viele Frauen die Illegalität nutzten, um einen Abbruch einer unerwünschten Schwangerschaft vornehmen zu lassen, was oft genug mit hohen Risiken für Frau und Kind verbunden war, jedoch bestand keine Einigkeit darüber, wie sich das verhindern ließe. Letztendlich stimmten in einer Bundestag-Abstimmung ohne Fraktionszwang 247 gegen 233 Abgeordneten für die Fristenregelung, also den straffreien Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft. Dieses Ergebnis ist Ausdruck dessen, dass man sich parteiübergreifend weitgehend einig war, dass der seit 1871 geltende § 218 "ein offensichtlich unwirksames Gesetz" ist. Am Ende des Prozesses setzte sich die Meinung durch, dass es beim zähen Ringen um eine Lösung, nur um "die am wenigsten schlechte Lösung" geht.

Der §218 in der DDR

Während bis 1975 jeglicher Schwangerschaftsabbruch in der Bundesrepublik ein Straftatsbestand war, gestaltete sich die Rechtslage in der DDR anders. Unter dem verharmlosenden Gesetzestitel "Gesetz von der Unterbrechung der Schwangerschaft" erhielten Frauen ab 1972 das Recht, innerhalb von 12 Wochen nach dem Beginn einer Schwangerschaft über deren Abbruch eigenverantwortlich zu entscheiden (Fristenregelung). Für den beteiligten Arzt bestand gemäß dem Gesetz lediglich die Pflicht zur Beratung der Schwangeren über die medizinische Bedeutung des Eingriffs und über die künftige Anwendung schwangerschaftsverhütender Methoden und Mittel. Anders als in der Bundesrepublik war die Beratung in der DDR nicht explizit auf das Leben des ungeborenen Kindes ausgerichtet. Diese Regelung führte zu einer abnorm hohen Anzahl von Schwangerschaftsabbrüchen (die Rede ist von über 50%!!!), die zwischen 1972 bis 1993 in der DDR vorgenommen wurden. Verharmlosend wurde das die "Blinddarmoperation" genannt. Fehlte eine Frau im Betrieb, hieß es nicht selten, "... sie hat Blinddarm mit Beinen". Der Umgang der DDR mit dem Thema, das parteiideologisch und einseitig vorgefertigt geprägt war, und die sich daraus ergebende staatlich gelenkte gesellschaftliche Diskussion, verhinderte jegliche ernsthafte ethisch-religiöse Bewertung. Man kann feststellen, dass (wie schon vorher bei Friedrich Engels) der Materialismus über die jüdisch-christliche Religion und sich daraus ergebenden ethischen Bewertungen hinweggefegt ist. Dennoch: die Neuregelung des § 218 in der DDR war das einzige Gesetz, dass nicht einstimmig die Volkskammer passierte.

Der §218 nach der Wiedervereinigung beider deutschen Staaten

Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 gewährte der Gesetzgeber bis 1992 ein befristetes Nebeneinander beider Rechtslagen (Indikationenregelung in den westdeutschen Bundesländern, Fristenregelung in den ostdeutschen Bundesländern). Das führte zu einem "Abtreibungstourismus" von West nach Ost und setzte den Gesetzgeber unter Handlungsdruck. 1992 wurde die 4. Reform des § 218 beschlossen. Sie beinhaltet die DDR-Regelung (Fristenlösung) mit Beratungspflicht für das Leben. Das heißt, die Frau ist verpflichtet den Beratungstermin wahrzunehmen, und bekommt dann den obligatorischen "Schein" ausgestellt, der die verwaltungstechnische Grundlage für den Abbruch darstellt. Die katholische Kirche reagierte mit Bestürzung, weil diese Regelung keinen Schutz für das ungeborene Leben während der ersten drei Monate mehr bietet.

 


Lena R. (20) aus Berlin - "Ich habe das Kind nicht gewollt"

Lena R. schaut sich zusammen mit ihrer Mutter ihre eigenen die Ultraschallbilder an. "Das kleine Etwas zwischen den weißen Kreuzen, das bin ich! Man sieht ja noch gar nichts!" sagt Lena und ihre Mutter pflichtet ihr mit einem "Nä" bei. Dann beginnt Lena über sich zu erzählen. Zwei Jahre ist es inzwischen her. Ein halbes Jahr war sie mit ihrem Freund zusammen gewesen. "Verliebt und Blöd" seien sie gewesen. Sie wollte gerade ihre Ausbildung beginnen, da merkte sie, dass sie überfällig war. Ihr Freund besorgte aus der Apotheke den Schwangerschaftstest und eine Minute später stand das Ergebnis fest.

"Es war ein Schockmoment, man weiß nicht weiter..."

erinnert sich Lena. Ihr Freund hatte für sich eine andere Einschätzung getroffen. Er stand zu dem Kind, er freute sich auf das Kind und er wollte das Kind.

Angesprochen auf eine Hilfestellung in dieser Situation fällt Lena als erstes ihre Mutter ein.

"Ihr konnte ich mich anvertrauen und sie stand dann auch bei der kompletten Geschichte hinter mir."

In den Gesprächen mit ihrer Mutter sei Lena der Grund deutlich geworden.

"Ich finde, wenn man Kinder bekommt, muss man mit sich selber im Klaren sein, dass man seine Wünsche ausgelebt hat, dass man selber zur Ruhe kommt und das man weiß, dass man selber für sich und das Kind eine Verantwortung übernehmen kann."

Lena sieht vor allem den Berg an Verantwortung und Aufgaben vor sich, den es die nächsten 18 Jahre zu stämmen gilt. Und diese Gefühlslage ist typisch für Frauen in dieser Situation und deshalb ein Hauptgrund für eine Vielzahl von Abbrüchen. Das ist zwar nur eine Vermutung, denn eine belegbare und anerkannte statistische Erhebung zu persönlichen Abbruchsgründen der Frauen gibt es nicht.

Auf frappierende Weise deckt sich Lenas Aussage mit den Liedtext aus Nina Hagens Song "Unbeschreiblich weiblich". Darin heißt es u.a.:

Und vor dem ersten Kinderschrei'n
Muss ich mich erst mal selbst befrei'n

Und augenblicklich fühl' ich mich
Unbeschreiblich weiblich

Die Gesellschaft liefert die Gründe frei Haus

Lenas und Nina Hagens Worte sind zu einer Art Stereotypen geworden. Dabei drängen sich viele Fragen auf. Woher kommt diese immer wieder gehörte Begründung der "Selbstbefreiung" oder des "Wünsche auslebens"? Wie kommt es, dass eine Frau in ihrer besten biologischen Zeit, in der alle Körperfunktionen und Gene auf Fortpflanzung programmiert sind, Abstand von der Familienplanung nimmt, obwohl das wirtschaftliche, gesellschaftliche und familiere Umfeld, auch im historischen Kontext, so gut wie nie sind? Und die wichtigste Frage: Wie decken sich eigene Bedürfnisse der werdenden Mutter mit der Verantwortung ihrem ungeborenen Kind gegenüber? Eines ist unzweifelhaft. Die jahrzehntelange gesellschaftliche Diskussion über das Selbstverständnis der Frau hat Argumente produziert, die von den meisten Frauen und Männern im Bedarfsfall gern aufgenommen werden. Das sie oft nur als dumpfe Attitüde vorgetragen werden, ist eine andere Sache. Dabei sind die Argumente stets die gleichen. Sie heißen Armutsrisiko, "ich will meinem Kind etwas Besseres bieten", soziale Kälte. Neu hinzu gekommen sind: Karriereplanung, Selbstverwirklichung, kinderfeindliche Gesellschaft. Eines ist klar. Je mehr dieser Argumente anerkannte gesellschaftliche Bedeutung haben, und dazu haben seit Karl Marx und Friedrich Engels vor allem linksliberale Kräfte beigetragen, desto eher neigen Frauen dazu, sich im Fall der Fälle gegen ein Kind zu entscheiden. Die "Gesellschaft" liefert praktisch die legitimierten Argumente frei Haus. Dieses neue Rechtfertigungsmuster hat alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst: Junge und Alte, Gewerkschaften, die Kirchen (insbesondere die im Verbund der EKD), Sozialämter, Jugendämter, und, und, und. Und so verwundert es nicht, dass einer der meist gegebenen Ratschläge von Eltern an ihre eigenen Kinder lautet: mach erst mal deine Ausbildung, lass dir mit so was Zeit (Kinder kriegen), genieße dein Leben, du bist noch viel zu jung dafür! In so einem destruktiven "familienpolitischen" Klima wachsen viele Teenager auf. Wenn in diese gesellschaftliche Wirklichkeit hinein "der Unfall" passiert, kann selbst eine gute Familienpolitik und ein prosperierendes wirtschaftliches Umfeld, wie wir es in Deutschland haben, nicht mehr viel ausrichten.

Der Abbruch

Für Lena stand die Entscheidung fest: Die Schwangerschaft muss abgebrochen werden. Daran konnte auch die gesetzlich vorgeschriebene Pflichtberatung nichts mehr ändern. Obwohl Lena R. beteuert, richtig gehandelt zu haben, geben ihre Worte oft einen anderen Eindruck wider. Es scheint, als ob ihr das Reden hilft, über das unwiderbringlich Geschehene hinweg zu helfen.

Sehr konkret schildert Lena ihre Gedanken vor dem Abbruch:

"Viele fangen ja auch sofort an zu denken, dass ist ja ein kleiner Mensch, der da in deinem Bauch ist und dass das Herz sofort schlägt.

Es ist tatsächlich so, der Herzschlag des Föten beginnt ab der fünften Schwanger-schaftswoche. Man muss aber wissen, dass ca. 93% aller Abrüche ab der fünften Woche vorgenommen werden!

"Ich habe versucht, mich mit anderen Gedanken zu befassen. Wie mein zukünftiges Leben aussehen würde, das war eher in meinem Kopf. Wie das ist mit der Schule, mit den Finanzen, mit meinen eigenen Wünschen, ob ich zufrieden bin. Natürlich fühl ich mich schuldig, weil ich mir manchmal auch denke, das könnte jetzt hier dein Kind sein, was hier rumspielt, fröhlich sein könnte. Es hat keine Sorgen, ist einfach froh auf der Welt zu sein. Das sieht man ja, wenn die Kinder die Welt entdecken. Und das ist schwierig, da bekommt man dann auch Schuldgefühle."

All diese Sätze machen das Gefühlschaos deutlich, in dem sich Lena noch zwei Jahre nach dem Abbruch befindet; hin und her gerissen zwischen den von der Gesellschaft vorgefertigten Argumenten und der inneren Stimme ihrem ungeborenen Kind gegenüber. Gerade emotionalen Menschen wie Lena gelingt es oft kaum, den Eingriff eines Schwangerschaftsabbruches einfach als Episode abzuhaken. Nicht nur am Körper der Frau hinterläßt der Eingriff Narben. Auf die Frage welche Rolle die Pflichtberatung für ihre Entscheidung gespielt hat, sagt sie:

"Das kann ich nicht beurteilen. Es war gut zu wissen, was es für Unterstützung gibt. Aber in dem Augenblick hat mich das eigentlich gar nicht interessiert. Ich wollte das einfach nur über die Bühne bekommen. Und dann war für mich einfach fertig."

Die Nacht vorher verbrachte Lena im Bett zusammen mit ihrer Mutter, "... weil ihr die Nähe eines anderen Menschen wichtig war". Ihren Freund und Kindesvater, der das Kind unbedingt wollte, erwähnt Lena zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr.

Lenas eigene schonungslose Offenheit und Analyse des Geschehenen ist dennoch mit zahlreichen Widersprüchlichkeiten gespickt, die aber keinen Einfluß auf ihre Entscheidung zulassen. Und was auch auffällt, dem ungeborenen Kind in ihrem Bauch wird keinerlei Entscheidungsraum beigemessen, durch sie selbst nicht, durch ihre Mutter nicht und durch die gesellschaftliche Meinung ebenfalls nicht! Alle Argumente drehen sich ausschließlich um die Befindlichkeit von Lena selbst. Alles andere wird (noch) verdrängt und spielt sich im Unterbewußtsein ab. Jahre später, tritt es dann oft wie ein ungebetener Gast hervor. Besonders traurig ist: Lenas Mutter macht keinerlei Anstalten ihrer Tochter die Ängste und Sorgen zu nehmen, sie zu ermutigen und anzuspornen. Auf Lenas Aussage bei der Betrachtung des Ultraschallbildes "man sieht ja noch gar nichts" reagiert die Mutter mit einem schnöden "Nä", anstatt mit einem "... und trotzdem ist da schon Etwas". Und genau in diesem Dilemma befindet sich die überwiegend gesellschaftliche Meinung.

Dabei stand Lenas unverhoffte Schwangerschaft eigentlich unter einem guten Stern. Sie hatte einen Erzeuger, der voller Vorfreude auf das Kind war, sie waren verliebt ineinander, Lena ist jung und gesund, und die junge Familie hätte alle denkbare staatliche und gesellschaftliche Unterstützung als junge Mutti und gleichzeitige Studentin in Anspruch nehmen können.

Die Freiheit der eigenen Entscheidung

Niemals geht es darum, Menschen ihre Lebensplanung vorzuschreiben. Es ist Gottes ausgesprochener Wille, dass sich der Mensch frei entscheiden kann. Übrigens steht dieses freiheitliche Denken und Handeln diametral den Verführungen Satans gegenüber. (Anmerkung: Satan übersetzt heißt "Der Verführer".) Dieses ist nämlich darauf ausgerichtet, die Eigenbestimmtheit des Menschen einzuschränken, indem er die Freiheit des Denkens und Handelns durch Suchtformen (Geld, Macht, Drogen, Sex) ersetzt.

Die Bibel gibt jedenfalls keine dezidierten Hinweise auf Familienplanung, außer der allgemein gehaltetenen Aufforderung:

"... seit fruchtbar und mehret euch ..."
1. Mose 1 Vers 28

Gott räumt jeden Menschen das Recht auf individuelle, den eigenen Bedürfnissen entsprechende Lebensplanung ein. Und dabei werden der Frau die gleichen Rechte zugebilligt wie dem Mann. Andererseits schließt das Recht auf individuelle Entscheidungsfreiheit aber auch die Pflicht ein, fürsorglich und gottesfürchtig mit diesem Recht umzugehen. Was aber wenn das nicht gelingt? Wenn die Frau trotz zahlreicher guter Verhütungsmethoden schwanger wird? (Anm. In Deutschland wurde in 2014 immer noch jede 7. Schwangerschaft abgebrochen!)

Aus der Glaubenssicht aller Religionen ist die Antwort eindeutig. Kein Grund rechtfertigt es, werdendes Leben im Mutterleib dem Abbruch frei zu geben. Und um allen Streitigkeiten und Spitzfindigkeiten aus dem Weg zu gehen, kann man sich auf die 96% aller Schwangerschaftsabbrüche beziehen, die keine medizinische oder kriminologische Indikation haben. Angesprochen auf die Scheidung von Mann und Frau hat Jesus noch gesagt:

Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er (Anm. Mose) euch das Gebot der Scheidung gegeben. Markus 10; Vers 2-12

Einem jeglichen Schwangerschaftsabbruch würde Jesus wahrscheinlich nicht nur eine totale Absage erteilen, sondern ihn auch scharf verurteilen! Denn das Leben ist heilig vor Gott, das menschliche Leben als Ebenbild Gottes (siehe auch 1. Mose 1, Vers 27).

Biblische Darstellung des ungeborenen Lebens

Um die religiöse Bedeutung des heranwachsenden aber noch ungeborenen Lebens erkennbar werden zu lassen, gibt uns die Bibel mehrere schöne Hinweise. Hier einige Auszüge, wobei der vierte Auszug (s.u.) ein Hinweis Gottes an den Propheten Jeremia ist:

Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.
Psalm 139, 13

Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben.
Psalm 139, 16

Hat nicht der Eine uns im Mutterschoß bereitet?
Hiob 31, 15

Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleib bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest.
Jeremia 1, 5

Wie bereits erwähnt, fand die religiös-ethische motivierte Bewertung von ungeborenen menschlichen Leben in der kommunistisch-materialistisch orientierten Phrasierung mit keinem Wort Erwähnung. Sie ist offen gegen Gott gerichtet, gegen seine Schöpfung und gegen alle religiösen Grundwerte, mit dem Ergebnis, dass die Menschen zur Sünde verführt werden.

Bilanz aus 40 Jahren Fristen- und Indikationenregelung

Heute, 40 Jahre nach Inkrafttretung der Indikationenregelung und 25 Jahre nach der Reform des §218, scheint eine Bilanzierung geradezu antiquiert. Der Vorgang des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb des Gesetzestextes des §218 ist soweit gesellschaftlicher Konsens, das niemand mehr auf die Idee kommt, darüber zu bilanzieren, geschweige eine Änderung zu fordern. Dafür stehen heute andere, wenn auch ähnlich gelagerte Themen auf der Agenda. Sie heißen: Präimplantationsdiagnostik (PID), Social Freezing, Leihmutterschaft, gleichwertig anerkannte Elternschaft homosexueller oder lesbischer Paare. Trotzdem: Eine Bilanzierung aus christlicher Sicht ist immer noch aktuell, vor allem deshalb, weil sich die gesellschaftliche Situation weiter verändert hat. Bezeichnend dafür ist die aktuelle Aussage einer der Unterzeichnerinnen des Appells "Wir haben abgetrieben!" Angesprochen auf ihre damaligen und heutigen Beweggründe als Fürsprecherin einer freien Abbruchspraxis entgegenet sie:

"Es war ein Protest von Frauen für Frauen. Ich fand das wichtig, dass sich Frauen frei entscheiden können. Das ist auch für die Kinder besser, viel, viel besser!"

Auf die Frage, was noch unerreicht ist und wie sie sich denn eine Regelung wünschen würde, sagt die heute (im Jahr 2015) 65-jährige:

"Ich würde mir wünschen, dass der § 218 ganz gestrichen wird. Der Schwangerschafts-abbruch gehört nicht bestraft. Das ist ganz allein eine Sache zwischen Mutter und Kind."

Das, was hier, 40 Jahre nach der 1. Reform des §218, von einer 65-jährigen ehemaligen Bekennerin von "Wir haben abgetrieben!" vorgetragen wird, wirft selbst aus heutiger Sicht ein fahles Licht auf die Debatte. Und das deshalb, weil es die wahre Schwachheit der Argumente der Bekenner und Befürworter von damals (und heute) noch einmal deutlich werden läßt; jene Argumente, die sich dennoch so stark in der Gesellschaft verankern konnten. Sie alle sind gekennzeichnet von dialektischer Armut, obwohl sich die Verfechter von damals ihrer fundierten Dialektik der Argumente und der Stärke ihrer Argumentation gerühmt haben. Die geradezu zynische Formulierung "... das ist ganz allein Sache zwischen Mutter und Kind." spricht hier für sich. Gerade so, als würde es irgendein Mitbestimmungsrecht für das ungeborene Kind im Mutterleib geben. In welcher Weise dennoch behauptet wird, "Das ist auch für die Kinder besser, viel, viel besser!", ohne auch nur einen Tag des nicht gelebten Erdenlebens zu kennen, setzt dem Ganzen die Krone auf. Niemand verschließt die Augen vor dramatischen Konfliktsituationen, denen sich manche werdende Mütter aus den unterschiedlichsten Gründen ausgesetzt sehen. Aber diesen Konflikten mit Aussagen wie "...mein Körper gehört mir!" zu begegenen, ist egoistisch und überheblich, vor allem dem ungeborenen Kind gegenüber.

Aktuelle statistische Kennwerte (Quelle: Statist. Bundesamt)

Interessant ist ein Blick auf die aktuelle Datenlage. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland insgesamt 100.000 Schwangerschaftsabbrüche (bei ca. 780.000 Schwangerschaften) vorgenommen, mit leicht rückläufiger Tendenz. Ca. 46% aller Abbrüche unternahmen Frauen im Alter zwischen 25 und 35 Jahren. Die Abtreibungsrate je 1000 Einwohner liegt in den ostdeutschen Bundesländern um ca. 75% höher als in den westdeutschen Bundesländern. Mit 60% ist der Anteil ausgerechnet jener Frauen, die zum Zeitpunkt des Abbruches kein oder ein Kind hatten, besonders hoch.

Die Statistik führt nur drei Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch, nämlich die medizinische Indikation, die kriminologische Indikation und die Beratungsregelung. Hinter dem Begriff "Beratungsregelung" verbergen sich dann 96% aller Schwangerschaftsabbrüche ohne eine weiter führende Angabe von Gründen! Übrigens nur 0,04% aller Schwangerschaftsabbrüche erfolgte aus kriminologischer Indikation, also aus Gründen einer Vergewaltigung. Neun von zehn Schwangerschaften mit der Aussicht auf Trisomiedefekt (Down-Syndrom) werden abgebrochen. Soweit die hoch interessanten Zahlen, die viel Raum zur Interpretation bieten.

 

Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte legen offen, dass die Hauptargumente für einen geplanten und selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch oft nur vorgeschoben sind oder auf schwachem Fuß stehen. Wenn man die Situation der Frau um das Jahr 1900 mit der von heute vergleicht, macht das deutlich, dass es hier praktisch keine Vergleichbarkeit mehr gibt. Heute haben Frauen (und Männer) alle Möglichkeiten eine ungewollte Schwangerschaft nahezu auszuschließen. Junge Familien erhalten erstklassige staatliche Unterstützung. Die staatliche und private Kinderbetreuung ist weitestgehend auf einem hohem Niveau. Eltern und Großeltern stehen mit zumeist prosperierenden Vermögensverhältnissen unterstützend zur Seite. Das alles kann nicht verhindern, dass in Deutschland immer noch jede 7. Schwangerschaft abgebrochen wird! Und in Ostdeutschland, wo es zusätzlich bereits eine flächendeckende KITA-Betreuung gibt, wird noch fast jede 4. Schwangerschaft abgebrochen! Überhaupt lohnt immer wieder ein Blick auf die Verhältnisse in der ehemaligen DDR. Nirgendwo war die kommunistische Idee von der Freiheit der Produktionsmittel, das die Freiheit des Individuums erst ermöglicht, so fortgeschritten. Das manifestierte sich durchaus in einer weitestgehenden Gleichstellung zwischen Mann und Frau in der Gesellschaft der sozialistischen DDR. Junge Familien bekamen bevorzugt eine der begehrten Wohnungen, bei jedem Kind gab es 1000 Mark "Begrüßungsgeld", die flächendeckende rund-um-die-Uhr Betreuung der Kleinkinder war organisiert. Und trotzdem wurde jede zweite Schwangerschaft in der DDR abgebrochen!!! Das wissenschaftlich-theoretische Fundament von Friedrich Engels, das er in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ manifestiert hat, und das als theoretische Grundlage der 68-Bewegung in der Bundesrepublik und der sozialistischen DDR in Sachen Frauen- und Familienpolitik diente, ist krachend gescheitert.

Die Rolle der Kirchen

In den gesamten Prozess um die Reform des §218 waren die evangelische und katholische Kirche eng beteiligt. Aufgrund der Struktur der Kirchen als Staatskirchen führte das zu einer Zerreißprobe zwischen dem unverrückbaren religiösem Anspruch einerseits und dem Denken eines Teils ihrer Mitgliedschaft in der Sache andererseits. Die katholische Kirche versuchte stets in dem gesamten Prozess der Reform des §218 ihrer religiös motivierten Verantwortung gerecht zu werden, auch wenn sie damit den Unwillen nicht weniger ihrer Mitglieder auf sich zog. Weg- und Richtungsweisend waren Äußerungen des Rates der Deutschen Bischofskonferenz von 1991:

„Der Hinweis auf soziale Probleme, die mit einer Schwangerschaft verbunden sein können, darf bei dem Entwicklungsstand unserer Gesellschaft überhaupt keine Berechtigung haben. Niemals darf der Staat die Tötung eines ungeborenen Kindes aus sozialen Gründen zulassen... Ein Staat, der vor sozialen Schwierigkeiten und Notlagen kapituliert, hört auf, ein Sozialstaat zu sein.“

Aus dieser Sicht heraus ist es nur verständlich, dass Papst Johannes Paul II in seiner 1995 erschienenen Enzyklia Evangelium Vitae davon spricht, dass Abtreibung für Christen nicht tolerabel sei. Dass er den Rückzug der katholischen Konfliktberatungsangeboten aus der staatlichen Konfliktberatung einforderte, ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Zumal der Papst ausdrücklich betonte, dass er sich wünsche, die Konfliktberatung außerhalb des staatlichen Angebotes, und ohne eine Ausstellung des notwendigen Beratungsscheines, fortzuführen. Mit diesem Vorschlag waren die katholischen Sozialverbände aber von der staatlichen Finanzierung der Beratungsleistung abgeschnitten ...

Mit diesen eindeutigen Worten des Papstes an die Gläubigen und die Gesellschaft, und der Tatsache, dass der Papst eine Konfliktberatung mit Ausstellung des Beratungsscheines untersagte, hat die katholische Kirche seine Integrität in dieser schwierigen Frage unter Beweis gestellt. Gleiches gilt auch für andere christlichen Gemeinschaften wie z.B. die Zeugen Jehovas und die Freikirchen, die in ihrer zumeist stillen Ablehnung der Reform des §218 dennoch eindeutig Stellung bezogen.

In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist auch die Einstellung von Mutter Theresa. Stets verurteilte sie streng jegliche Art des Schwangerschaftsabbruchs. Ihr Statement wiegt besonders schwer, da Mutter Theresa durch die Arbeit in den Armenvierteln Kalkuttas täglich mit Not und Armut der Menschen konfrontiert war und dennoch zu dieser Entscheidung kam.

Wie stellt sich die Positionierung der in der EKD vereinigten Kirchen (EKD - Evangelischen Kirchen Deutschlands) dar? Zwar betonen die EKD, dass das werdende, ungeborene Leben schutzwürdig sei, setzen aber gleichzeitig zu einer Reihe Relativierungen an, die einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen. In einem aktuellen EKD-Statement (Stand 2015) heißt es wörtlich:

Die EKD ist jedoch im Gegensatz zu der römisch-katholischen Kirche der Auffassung, dass in der Schwangerschaft unvorhersehbar eintretende Konfliktsituationen auftreten können. Die Frauen können dann in eine derart ausweglose Situation geraten, dass sie für sich keinen anderen Weg sehen, als die Schwangerschaft abzubrechen. Derart unerträglich scheinende Schwierigkeiten können z.B. aus dem Alter der Frau, der finanziellen Situation, aus Angst vor Verantwortung und Zukunft, einer zu erwartende Behinderung des Kindes, Beziehungsproblemen, der beruflichen Situation, Druck aus dem sozialen Umfeld oder einem nicht vorhandenen Kinderwunsch resultieren.