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Dein Geist komme ...

Heiliger Geist

01.10.2014 Text und Illustration Bernd Buerschaper (evgl.)


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Dein Geist komme. Gedanken zum Jahrestag des Mauerfalls.

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Der 9. November ist ein Tag, an dem die Deutschen gleich drei bedeutender geschichtlicher Ereignisse gedenken. Das erste Ereignis datiert auf das Jahr 1918, dem Jahr der Novemberrevolution, an deren Ende die erste deutsche Republik ausgerufen wurde. Das zweite Ereignis steht für den Beginn eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte, die Reichspogromnacht 1938. An jenem 9. November 1938 machten die Nazis gegen jüdische Mitbürger mobil. Die Synagogen brannten, Juden wurde über Nacht ihrer Menschenwürde abgesprochen. Und schließlich fällt auf den 9. November das Datum der friedlichen Revolution von 1989, die das Ende der DDR einläutete und den Weg zur deutschen Wiedervereinigung frei machte. Und so kulminieren an einem einzigen Tag drei historischer Ereignisse bedeutender Prägung. Wir wollen in dieser Predigt noch einmal die Ereignisse der friedlichen Revolution in der DDR Revue passieren lassen und sie vor allem aus religiöser Sicht analysieren.

Die Herbsttage des Jahres '89 waren geprägt von spannungsreichen Ereignissen mit ungewissem Ausgang. Alles schien möglich, auch das Undenkbare, nämlich das alles in Gewalt und Chaos untergeht. Bei den sogenannten Montagsdemos, die in den Wochen des Herbstes '89 überall in der DDR stattfanden, versuchten sich die Menschen gegenüber ihrer Staatsmacht zu artikulieren. Heute vermag man sich kaum vorstellen, welche Spannung über jeder Montagsdemo lag und wie real die Gefahr einer Eskalation war. Eine Frau sagte einmal im Rückblick, wir haben uns förmlich an unseren Kerzen festgehalten! Für die Machthaber in der DDR stand das ganze politische und gesellschaftliche System, für das sie nach dem Krieg eingetreten sind und das sie aufgebaut haben auf dem Spiel. Und trotzdem ging dieser Umbruch in der DDR und ganz Europa nahezu friedlich von statten. Eine oft gestellte Frage - damals wie heute - lautet: Wie konnte das alles geschehen, friedlich, gewaltlos, ohne Blutvergießen? War es nicht eigentlich ein Wunder, das sich da vor den Augen der Welt ereignet hatte? Es lohnt sich, diese Frage noch einmal zu stellen und ihr nachzugehen. Nach den gescheiterten Volksaufständen der fünfziger und sechziger Jahre in Prag und Berlin mit vielen Toten beginnt die Spurensuche im Jahr 1979, und sie ist mit einem Namen verknüpft: Papst Johannes Paul II. Der Pole, der mit bürgerlichem Namen Karol Wojtyla hieß, war, ganz überraschend, in das Papstamt gewählt worden. Seine erste Auslandsreise führte ihn, neun Monate später, vom 2. bis 10. Juni 1979, in seine Heimat, die Volksrepublik Polen. Bei diesem Heimatbesuch handelte es sich um die erste Reise eines Papstes in ein sozialistisches Land.

Dein Geist komme ...

Und während dieser Reise wurde unzweifelhaft der geistliche Grundstein für das Wunder des Mauerfalls in Berlin und den Veränderungen in Europa gelegt. Das Datum dieses Besuches war nicht ohne Bedeutung gewählt. Es fiel auf das Pfingstfest am 03. Juni. Für viele mag das kaum von Bedeutung sein. Für Christen ist dieses Fest von höchster Symbolkraft. Es ist der Tag, etwa 50 Tage nach Ostern, an dem der Heilige Geist auf Jesu Jünger ausgegossen wurde. Der Heilige Geist, von dem Jesus sagte:

Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. Joh.16,3

Der Papst nutzte diesen symbolträchtigen Feiertag in seiner vollen christlichen Bedeutung zu einer visionären Rede, die den Beginn markierte, die Zukunft in Europa zu verändern. Auf dem menschenüberfüllten Platz des Sieges in Warschau beschwor er in ruhigen aber eindringlichen Worten:

Und ich, Sohn polnischer Erde, rufe dich.
Dein Geist komme!
Dein Geist komme! Und erneure das Antlitz dieser Erde!
Amen.

Nie zuvor hat jemand in aller Öffentlichkeit, ohne Zuhilfenahme versteckter, vager Andeutungen, die Kraft des Heiligen Geistes in so deutlicher Weise beschworen. Papst Paul II wusste was er tat, denn in seinem Wirken als Priester in Krakau hat er mit der Kraft des Heiligen Geistes besondere Erfahrungen gemacht. Das mag ihn darin bestärkt haben, diesen Geist vor aller Welt und vor den Augen der polnischen Machthaber anzurufen. Das Charisma, der tiefe Glauben dieses Papstes und seine Glaubwürdigkeit vermochten es, das dieser göttliche Geist bereits auf dem Platz des Sieges in Warschau für die Menschen spürbar wurde. Zeitzeugen bestätigen, man konnte eine Stecknadel fallen hören. Die Menschen, die Karol Wojtylas Worte hörten, waren gefangen von der Aura und der besonderen Bedeutung des Momentes. Nach dem Wort Amen, ertönte ein Beifall. Es war kein Jubelbeifall, sondern ein beinahe stiller Beifall des Herzens, der sich aus einer tiefen Sehnsucht der Menschen nach Veränderung durch Freiheit des menschlichen Geistes speiste. Die polnischen Machthaber bemühten sich, die Fernsehbilder nach Kräften zu manipulieren, um das Ausmaß der Bedeutung der Macht der Bilder auf das Volk klein zu halten. Aber gegen die Worte konnten sie nichts ausrichten. Im Gegenteil, sie haben sie nicht einmal andeutungsweise zu deuten gewusst. Atheismus und der Heilige Geist, das passt einfach nicht zusammen.

Unzweifelhaft war dieses Gebet des Papstes die Initialzündung, das alles in Bewegung brachte. In den kommenden 10 Jahren bröckelte das Machtgefüge innerhalb des sozialistischen Lagers Stück für Stück. Die Solidarnosc in Polen machte den Anfang. Kein Kriegsrecht und keine Verbote konnten die Bewegung der ersten freien Gewerkschaft in einem sozialistischen Land aufhalten. Und stets besannen sich die Menschen in Polen darauf, die Veränderungen gewaltlos zu erreichen. Die Besinnung auf den Beistand Gottes stand stets im Zentrum des Geschehens. Gewalt hatte da kein Platz. Ganz so, wie es Papst Paul II damals in Warschau beschwor: Dein Geist komme! Dein Geist komme! Und weil das so war, und weil der Geist wirklich mit den Menschen war, nahmen die Wunder kein Ende. Die Geheimpolizei war in allem was sie tat macht- und hilflos. Wer könnte es auch mit Gottes geistlicher Kraft aufnehmen, wenn dieser Geist erst einmal wirksam geworden ist? Die Bibel berichtet zahlreich von ähnlichen Geschichten. Aber diesmal ereignete sich die lebendige Geschichte vor unser aller Augen, im 20. Jahrhundert!

Noch schauten die Deutschen gespannt und ungläubig auf die Ereignisse in Polen.

Europa im Umbruch

Nach Polen kam es zu Veränderungen in der Sowjetunion, die bis dato niemand zu träumen gewagt hatte. Mit Michail Gorbatschow kam erstmals in der Sowjetunion ein junger Parteikader an die Macht. Er löste die jahrzehntelang verkrusteten, überalterten Personal- und Denkstrukturen innerhalb der KPdSU (damalige kommunistische Einheitspartei der Sowjetunion) auf. Und Michail Gorbatschow hatte eine besondere Vertrauensperson (von der kaum jemand weiß) an seiner Seite, die sein Tun aber maßgeblich beeinflussen sollte: seine Frau Raissa Gorbatschowa. Sie war es, die ihren Mann bei schwierigen Entscheidungen immer wieder ermutigte, nicht nach Parteiräson zu entscheiden, sondern an die Menschen zu denken! Der Geist, den Johannes Paul II anrief, wirkte weiter!

Voll besetzte Kirchen mit Schutz suchenden Menschen

Nach den Ereignissen in Polen und der Sowjetunion erfaßten die Veränderungen zunehmend auch die DDR. Schon lange gab es hier eine Bürgerbewegung, die klein, mit wenigen Mutigen und Visionären, anfing. Nacjh und nach erfaßte sie immer mehr Menschen. Aber überall herrschte Versammlungsverbot! Die Menschen brauchten im wahrsten Sinne des Wortes einen Raum, um sich zu treffen und sich Mut zu machen. Und, wenn man das so sagen will, stellte Gott seine eigenen Räumlichkeiten zur Verfügung. Woche für Woche trafen sich die Menschen in den Kirchen des Landes um zu beten, zu singen, - erst wenige, später immer mehr. Im Anschluss liefen die Menschen in stillen Märschen mit brennenden Kerzen durch die Innenstädte, um danach friedlich nach Hause zu gehen. Was waren das für Zeiten? Die brennenden Kerzen, die die Menschen da vor sich her trugen, sind ein christliches Symbol. Es ist das Symbol des Heiligen Geistes, den Papst Johannes Paul II einst anrief!

In der Wendezeit des Oktobers '89 wurde die Nikolaikirche in Leipzig weltberühmt. Vor hier aus zogen die Menschen nach einem Friedensgebet zur Montagsdemonstration durch die Leipziger Innenstadt, aber nicht ohne vorher das Kirchenlied "O komm du Geist der Wahrheit" gesungen zu haben. Derselbe göttliche Geist, den Papst Johannes Paul II einst öffentlich anrief, wurde nun auch in Leipzig vor jeder Montagsdemo angerufen und besungen!

Zur Erinnerung: Die ersten beiden Strophen lauten so:

O komm, du Geist der Wahrheit,
und kehre bei uns ein,
verbreite Licht und Klarheit,
verbanne Trug und Schein.
Gieß aus dein heilig Feuer,
rühr Herz und Lippen an,
dass jeglicher getreuer
den Herrn bekennen kann.

O du, den unser größter
Regent uns zugesagt:
komm zu uns, werter Tröster,
und mach uns unverzagt.
Gib uns in dieser schlaffen
und glaubensarmen Zeit
die scharf geschliffnen Waffen
der ersten Christenheit.

So sangen sie damals in den Kirchen, die Menschen aus der DDR. Das Wort des Paulus:

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. 2. Timotheus 1 Vers 7

hat den bedrängten Menschen, wovon viele Atheisten waren, Mut gemacht.

Die "Zufälligkeiten" nahmen kein Ende...

Was bei allem auffällt, nie waren es große Parteitage, UNO-Sitzungen oder Manifeste die die Veränderungen heraufbeschworen. Es waren stets kleine und scheinbar sinnfreie Begebenheiten, die den Lauf der Geschichte veränderten. Da war ...

- der Werftelektriker aus Danzig, der zur friedlichen Symbolfigur eines Landes wurde
- die stille und kluge Frau des sowjetischen Generalsekretärs
- die Polizisten in Prag, die nur halbherzig die deutsche Botschaft bewachten
- der Grenzsoldat, der in Ungarn den Grenzzaun zerschnitt
- die Pfarrer in der DDR, die frühzeitig die Kirchentüren öffneten
- die Schichtarbeiterin, die vor der Nachtschicht zur Montagsdemo ging
- ein italienischer Journalist, der am Ende einer Zentralkommitee-Pressekonferenz nach dem Stand eines neuen Reisegesetzes fragte und eine Antwort erhielt, die die Welt wenige Stunden später auf Kopf stellte
- Gespräche und Beschlüsse in Hinterzimmern, die oft eine ungeahnte und zum Teil gar nicht beabsichtigte Eigendynamik im Sinne der Menschen und der Sache entwickelten.

Das sind nur einige wenige Beispiele. Bei so vielen wundersamen Ereignissen waren die Geschehnisse nicht mehr aufzuhalten. Immer mehr Menschen begriffen, welche Veränderungen möglich waren. Und sie nutzten die Gunst, die ihnen gewährt wurde.

Der vergessene Geist des Umbruchs

Heute, viele Jahre später, wird in allen politischen Reden und Gedenkfeiern zu Recht die Rolle der DDR-Bürger gewürdigt, die in friedlicher Weise ein aufgezwungenes und gescheitertes politisches System zu Fall brachten. Aber es werden auch kontroverse und zum Teil unwürdige Diskussionen geführt, wer welchen Anteil an der politischen, geistigen Erneuerung Europas hat. Vergessen ist der Ruf des Papstes:

Dein Geist komme!
Dein Geist komme! Und erneure das Antlitz dieser Erde!

Wie gehen wir um, mit den wundersamen Ereignissen von damals, die in ihrer Fülle und Bestimmtheit rational nicht erklärbar sind? Sind wir bereit, von unseren bescheidenen menschlichen Möglichkeiten abzulenken, und auf den zu schauen und dem zu danken, der alles möglich gemacht hat? Täglich wird uns vor Augen geführt, dass in anderen Ländern selbst kleinste Veränderungen mit Gewalt und Tod von Menschen einhergehen, ohne dass sich etwas Grundlegendes ändert.

Es gibt Menschen, die besorgt fragen, worin das erneuerte Antlitz dieser Erde, von der Johannes Paul II gesprochen hat, nun besteht? Angesichts vieler Probleme und Krisen auf der Welt ist diese Frage verständlich. Die Antwort lautet: in der Freiheit des Denkens! Diese Freiheit hat das sozialistische System stets missachtet. Geistige Freiheit ist aber das wichtigste ideelle und moralische Gut eines Menschen. So wie fürsorgende Eltern ihre Kinder in geistiger Freiheit erziehen, so möchte Gott, dass sich die Menschen in völliger geistiger Freiheit entscheiden können. Das gilt auch und vor allem für den Glauben. Die Grundlage für diese Art der Freiheit des Denkens ist seit den Ereignissen des Herbstes '89 in Europa gelegt. Und sie sollte uns mehr Wert sein als jede Reise- und Konsumfreiheit.

Was ist geblieben vom Geist der Wahrheit, der sich 1989 so offensichtlich gezeigt hat? Erinnern sich die Menschen an das Geschenk, das Gott ihnen gemacht hat? Haben die ev. Kirchen im Bewußtsein für die christliche Verkündigungsbotschaft von den proppend vollen Kirchen der Wendezeit in irgend einer Weise profitieren können? Nein, gar nicht! Dafür gibt es zahlreiche Belege. Und das gäbe Anlass zu fragen, ob die Strategie der EKD, die sie seit Jahrzehnten mit offen bekundeten Stolz fährt, überhaupt die Richtige ist? Statt Gott bei jeder Gelegenheit mutig in den Mittelpunkt zu stellen, erhöht (im wahrsten Sinne des Wortes) die EKD Martin Luther, der seit fast 500 Jahren tot ist und über den schon alles gesagt ist. Schade, dass er sich nicht einmal dagegen wehren kann! Er würde es tun. Schon heute frohlocken die EKD-Funktionsträger der 150.000 Gläubigen, die sich beim nächsten ev. Kirchentag auf den Wittenberger Elbwiesen versammeln sollen. Dann werden sie diese Zahl zu ihrem Benchmark erheben, um so die Leistungsfähigkeit der EKD zu dokumentieren.

Für das Geschenk der politischen und geistigen Freiheit von 1989 loben und preisen wir unseren Gott, unseren Herrn, unseren Vater im Himmel, von ganzem Herzen. Mehr denn je gilt auch heute:

Dein Geist komme!
Dein Geist komme!
Und erneure das Antlitz dieser Erde!